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Salzkammergut-Trophy 2005

"Endlich einmal eine Langstrecke, bei der man ausschlafen kann.", dachte ich mir, als ich mich am Vorabend gegen 24:00 Uhr ins Bett begab. Ray, der mit mir nach Bad Goisern gekommen war, hat da nicht so viel Glück. Er hat sich für die Lang-Distanz (200 km / 7.200 hm) entschieden und musste bereits um 5:00 Uhr starten, also lange vor mir aufstehen.
Für das, dass wir erst gegen 18:00 Uhr in Bad Goisern ankamen, unsere Unterkunft suchten, mit der Wirtin diskutierten um das Bike mit aufs Zimmer nehmen zu dürfen, zur Pasta-Party gerannt sind, die Streckenpräsentation mitgenommen haben und dann ab ins Bett gegangen sind - war das dann doch recht früh. Noch ein Wort zur Pasta. Ein Marathon ist ab irgend einem Punkt eine reine Kopfsache. Das ist Allgemeinwissen. Man muss abschalten, ertragen und leiden können. Letzteres fängt in Bad Goisern schon mit der Pasta an. Das war das Miserabelste was ich jemals vor mir auf einem Teller hatte. Nach ein paar verzweifelten Ansätzen habe ich dann gekniffen. Bewundernswert, die Leidensfähigkeit mancher Menschen und erschreckend mit wie wenig Talent so mancher kochen darf. Aber der Rest der Veranstaltung ist einfach spitze!
Zurück zum Thema. Ich habe also die Chance genutzt, habe länger geschlafen als sonst bei Marathon Veranstaltungen, konnte ausgiebiger - und vor allen Dingen mit mehr zeitlichem Abstand zum Rennen - frühstücken, und begab mich mit viel Vorlauf zum Startplatz. Wie im Jahr zuvor bei der Grand Raid Cristalp habe ich beschlossen Gewicht zu sparen und nur das mitzunehmen, was ich wirklich brauche und das war alles, was in meinen Trikot-Taschen Platz fand (Armlinge, dünne Windjacke, Gel, Riegel, Ersatzschlauch, Reifenheber, Kartuschen, Pumpe). Ansonsten keine Regenjacke, kein Trinkrucksack, sondern nur eine Trinkflasche. Das ist bei mir eine Frage des Vertrauens, der persönlichen Einschätzung und der Risikobereitschaft. Spätestens nach diesem Rennen bin ich mir aber absolut sicher, dass ich nicht mehr brauche.
Fest vorgenommen habe ich mir auf jeden Fall regelmässig ein Gel oder einen Riegel zu essen. Ich will nicht vorgreifen. Aber mehr als fünf Gels habe ich auch dieses Mal nicht geschafft. Warum machen die nichts, das nach Leberwurstbrot oder Käsesemmeln schmeckt?
Der erste Startblock peilte eine Zeit von unter 6:30 Stunden an. Nichts für mich. Auch wenn der Eine oder Andere der Meinung ist, dass ich mich gerne selbst überschätze, so bin ich der Meinung, dass ich mein Leistungsvermögen schon ziemlich gut abschätzen kann. 6:30 Stunden für mich, unmöglich! Daher reihe ich mich in den 2. Startblock ein. Rentner, Schulmädchen, Greise. Leute mit Rückenbeschwerden, Bandscheibenvorfälle und Untrainierte, Übergewichtige und Hobby-Radler alles in einem Pulk und ich mitten drin. Hier fühl ich mich wohl.



Pünktlich um 10:05 Uhr war der Startschuss und los ging es erst einmal durch Bad Goisern auf den ersten Anstieg. Nicht sehr anspruchsvoll, keine wirkliche Rampe, breiter geschotterter Waldweg. Das Feld war noch eng zusammen, als mich nach ca. 35 Minuten ein völlig verdreckter Fahrer überholte. Ich dachte mir nur, für den ist der Start wohl nicht sehr gut verlaufen, der ist sicherlich die Böschung und in den unten verlaufenden Bach gestürzt. Kurve nicht bekommen? Etwas übermütig der Kleine! Kaum hatte ich das so vor mich hin philosophiert - man macht sich ja so seine Gedanken (zu etwas anderem kommt man ja auch nicht während einem Marathon) - ist mir schlagartig bewusst geworden, dass es sich hier um einen Fahrer der 200 km-Distanz handelt. Wahnsinn! Nach weniger als 5:30 Minuten die ersten 100 km hinter sich gelassen. Unglaubliche Leistung. Fetten Respekt (Übrigens an alle die das gefinisht haben!). Da erscheint das eigene Vorhaben (100 km/3.600 hm) so lächerlich und unwichtig.
Als es dann in die erste Abfahrt ging konnte ich mir bereits ein Bild davon machen, was hier auf uns zukommt. Die Abfahrten sind alles andere als eine Erholung. Schmale, matschige und verblockte Trails, auf denen ich zumindest keine Geschwindigkeit gut mache - sondern froh sein muss, wenn ich da ohne Sturz runter komme. Hier und da gibt es natürlich auch Schotter. Aber das ist alles gut durchmischt. Auf der 2. Abfahrt hatte ich dann mächtig Glück. Ich bin ein wenig übermütig und zu schnell in einen Trail gefahren - einem Trail, den ich unter normalen Bedingungen wahrscheinlich gelaufen wäre. In Anbetracht der plötzlichen Zuschauermengen hätte ich aber gewarnt sein müssen. Die Biker vor mir haben wohl rechtzeitig gemerkt auf was sie sich hier einlassen und sind abgestiegen. Bei mir gab es aber nur noch eins: Geschwindigkeit bringt Sicherheit (den Spruch von Manfred Stromberg [Bikeride] werde ich nie vergessen - wobei ich der Meinung bin, dass man nicht sicherer wird, sondern die Gefahr nur schneller hinter sich lässt) und runter. Die zahlreichen Zuschauer habe ich nur noch schemenhaft bemerkt - aber der Applaus war meiner! (muss so gewesen sein, denn ich war zu diesem Zeitpunkt der einzige, der hier gefahren ist.). Ich beschlagnahme ihn einfach! (Wer Ansprüche geltend machen will soll sich bei mir melden.)
Die Verpflegungsstationen waren überall dort wo man sie brauchte; also ca. alle 15-20 km. Das sorgte dafür, dass ich niemals mit "Wasserknappheit" (eine meiner größten Sorgen bei Langstrecken - ich bin ein "Viel-Drinker") zu rechnen hatte. Ansonsten waren die Stände absolut hinreichend gefüllt. Besonders begeistert war ich von dem herzhaften Angebot (Laugenstangen, belegte Brote, Suppe). Das ist das, was ich nach dem süßen Gel-Riegel-Bananen-Kram einfach brauche.



Jeder hat ja so seine eigene Strategie um a) die Strecken und b) die Zeiten bei einem Marathon zu überstehen. Meine habe ich "Karotten"-Strategie genannt. Das Bild mit dem Esel, dem man eine Karotte vor die Nase hält, damit er läuft kennt ja jeder. Also, suche ich mir eine Karotte, der ich nachfahren kann. Das mag ja jetzt sexistisch klingen, aber ich suche mir gerne eine Frau, der ich nachfahre (in Lycra gehüllte Männer-Hintern finde ich nicht so wirkungsvoll). Nicht dass ich mich nun irgendwelchen Vorstellungen hingebe, nein, dafür habe ich bei einem Marathon keinen Kopf, aber es ist etwas, auf das man sich konzentrieren kann.

Auf einer der Abfahrten habe ich meine "Karotte" überholt - ein riesen Fehler, wie sich wenig später herausstellt. Aber, es lief einfach zu gut und ich bin mit einem irrsinnigen Tempo auf einer kurzen Rampe, mit viel zu großer Übersetzung an ihr vorbei gestochen. Und was macht sie? Sie klemmt sich hinter mich! Die spinnt! (Aus dem Esel wird plötzlich selbst eine Karotte.) Da wird man an der Ehre gepackt. Also nicht nachlassen. Das Luder hängt in meinem Windschatten. Das kenne ich eigentlich nicht. Wenn ich jemanden vom Rad fahren will gelingt mir das in aller Regel auch. Hier aber nicht. Das Luder bleibt dran. Jetzt in den Gegenhang. Mal sehen, wie lange meine "Karotte" noch am Hinterrad lutscht. Ich bewege mich mit meiner Herzfrequenz weit über meinem Plan. Das kann nicht gut gehen. Nach ca. 25 Minuten fahren wir an einer Gruppe Zuschauer vorbei, die kräftig anfeuern. Aus dieser Gruppe kommt dann mein Todesstoss. "Katrin, den packst Du!". Das hat gewirkt. Da ich bereits die ganze Zeit an meinem Limit fuhr, hatte ich den Attacken meiner "Karotte", deren Namen ich hier geändert habe, nichts entgegenzusetzen. Deprimierend. Katrin schob sich cm. für cm. an mir vorbei. Was soll's, wir werden ja ohnehin nicht gemeinsam gewertet. Und weg.

Egal. Weiter geht's. Irgendwie macht sich die Ruppigkeit des Geländes so langsam bemerkbar. Größere Strecken, auf denen man regenerieren kann gibt es nicht und die Beine werden langsam schwer. Nein, sie fangen an zu brennen. Deutlich wird das bei den Abfahrten. Aktiv fahren nennt sich das wohl. Von Aktivität strotzt das bei mir zwischenzeitlich aber nicht mehr. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich unten angekommen bin, endlich wieder sitze und hoch fahren kann. Aber die Freude hält nicht lange an. Da ist es wieder, das Brennen. Ich stelle mich darauf ein, dass es bis ins Ziel auch nicht mehr aufhören wird - wie auch!

An eins, zwei Stellen macht sich mein Techniktraining mit Fréd bezahlt. Stellen die ich vorher - aus mangelndem Wissen und Technik - niemals gefahren wäre. Heute klappts. An einer engen Kehre stehen wieder Zuschauer - hierher verirrt man sich nicht, sondern hier kommt man her weil man spektakuläres sehen will. Vor mir wird reihenweise abgestiegen. Rädchen herum gehoben, abgesetzt und wieder weitergefahren. Ich denke mir nur Die wollen etwas sehen. Also biete ihnen etwas. Entweder in Form eines sensationellen Sturzes oder indem du da durch fährst, wo die meisten absteigen. Also Kurve weit anfahren dann zum engsten Punkt und in dem Moment, in dem das Vorderrad die FallLinien durchfahren ist, Hinterrad blockieren und driften. Es hat geklappt! Macht richtig Spass! Wenn ich jetzt auch noch den richtigen Gang eingelegt hätte, hätte ich auch noch aus der Kurve heraus beschleunigen können. Na ja, beim nächsten Mal.



Eine andere Stelle war in einer Ortsdurchfahrt. Hier ging es eine Treppe hinunter. Ich hasse Treppen. Aber auch hier wieder Unmengen an Zuschauer. Das pusht! Also fahren. Völliger Blödsinn. Vor mir ein Sturz. Ich habe nicht wirklich Platz zum reagieren. Anhalten ist auch nicht möglich a) bin ich zu schnell und b) war nicht genügend Abstand. Also an der Hauswand vorbeigeschrammt (Arm und Trikot danken es). Und dann auch noch eine Kehre. Die spinnen, die Organisatoren ;-). Aber geschafft.

Noch einen Anstieg. Der Letzte für den heutigen Tag. Ich fahre an einem Wiener vorbei. Man kommt ins Gespräch. Unterhaltung ist das ja keine, es ist vielmehr ein synchrones keuchen und schnaufen, in das der jeweils Andere das hineininterpretiert, was er hören will. So weiß ich jetzt, dass er eigentlich Claudia heißt, aus Wien stammt, sich an der kommenden Verpflegungsstation eine Pizza bestellt und nur mitmacht weil er sich an den Labstationen zulaufen lassen kann und im übrigen sein Bike selbst geschnitzt hat. Ich halluziniere. Das muss mein Hunger sein. Plötzlich steigt er ab - und schiebt. So ist das halt bei Männern mit Frauennamen.

Hart war dann die letzte Abfahrt. Ein ca. 2-3 km Trail, der in meinen Augen unfahrbar war bzw. ist. Nicht nur in Meinen, denn alle um mich herum steigen ab schieben. Zu gerne hätte ich hier jemand fahren sehen. Den Streckenposten habe ich gefragt. Es muss tatsächlich Biker gegeben haben, die da hinunter fuhren. Wahnsinn! Das hätte ich zu gerne gesehen. Ein weiterer Streckenposten fügte hinzu, dass auch mindestens genauso viele gestürzt seien. Das glaube ich gerne!

Nach dieser Abfahrt kam noch ein ca. 7 km langes Flachstück. Wie lange 7 km sein können, weiß ich seit Bad Goisern. Ganz was Feines. Nach ca. 93 km noch einen Sprint hinzulegen ist einfach etwas nettes, zumal sich auch hier wieder einige Nasen in meinen Windschatten hängten. Warum immer ich? Wo ist denn der, dem ich nachfahren kann? Jetzt bin ich jemand, der dem Pulk stets hinterher fährt. Meine Platzierung im letzten Viertel macht das ja auch deutlich. Ich bin langsam, alt und träge. Aber an solchen Stellen habe ich immer die A-Karte. Dieses Mal ist es mir aber geglückt, die Hintermänner vom Rad zu fahren. Nachdem ich 2-3 mal das Tempo verschärft habe, war ich dann alleine und konnte auf der Zielgeraden mit Tempo 35 noch an einigen Konkurrenten vorbeiziehen und nach 7 Stunden und 52 Minuten (oder waren es 53 Minuten, egal) Auf jeden Fall unter 8 Stunden finishen.

Hat ja gar nicht weh getan!

Im Ziel habe ich Claudia wieder getroffen. Er heißt gar nicht Claudia. Eine Pizza hat er sich auch nicht bestellt und das mit dem Zulaufen lassen habe ich auch falsch verstanden. Aber das mit Wien, das hat gestimmt.

Ray kam nach knapp 16 Stunden um 21:00 Uhr ins Ziel. Fertig, kaputt, erschöpft aber ich denke, so mit Endorphin voll gepumpt, dass er seinen körperlichen Zustand gar nicht wahrgenommen hat. Er war high!

Duschen, Bikes verstauen, und ab nach Hause, ca. 580 km lagen dann noch vor uns und um ca. 4:30 Uhr lag ich dann endlich in meinem Bett. Müde, glücklich, und um ein neues Abenteuer reicher.

Andreas Bader



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